1. Worum geht es in dieser Studie?

Diese qualitative US-amerikanisch-britische Studie beleuchtet, wie Menschen Kontrolle und Freiheit in intimen Beziehungen erleben – und zwar entlang eines Kontinuums von milder Einflussnahme bis hin zu emotionalem oder physischem Missbrauch. Anders als viele frühere Arbeiten, die sich auf coercive control (z. B. Gewalt, Einschüchterung) konzentrieren, untersucht diese Studie auch subtile, nicht-physische Formen von Kontrolle sowie positive Prozesse, die Freiheit fördern. Ziel ist es, Paartherapeut:innen ein differenzierteres Verständnis für diese Dynamiken zu vermitteln – auch für Situationen, die nicht als klassische Gewaltbeziehungen gelten.

2. Was haben die Forschenden herausgefunden?

Kontrollprozesse (häufiger berichtet, detaillierter beschrieben):

  • Emotionale Gewalt: z. B. Schweigen (Withholding), Schuldumkehr (Gaslighting), verbale Herabwürdigung.
  • Physische Kontrolle: seltener, aber schwerwiegende Auswirkungen.
  • Weitere Muster: Monitoring, Entzug von Ressourcen, Anspruchsverhalten.
  • Leitmotiv der Betroffenen: „Ich hatte keine Stimme.“

Freiheitsprozesse (seltener, aber deutlich definiert):

  • Offenheit, Respekt, Vertrauen, Holding space, Unterstützung.
  • Ergebnisse: Selbstentwicklung, gegenseitige Anerkennung, Beziehung auf Augenhöhe.

3. Warum ist diese Studie für praktizierende Paartherapeut:innen interessant?

  • Hilft, subtile Kontrollmuster frühzeitig zu erkennen.
  • Betont, dass emotionale Gewalt oft gravierender ist als körperliche Gewalt – und schwerer zu identifizieren.
  • Bietet einen diagnostischen Orientierungsrahmen: Therapierbarkeit vs. Schutzbedarf.
  • Zeigt Wege auf zur Förderung von Autonomie und Anerkennung im Paar.

4. Wie sind die Forschenden genau vorgegangen?

  • Methode: Grounded Theory mit offener, axialer und theoretischer Kodierung.
  • Stichprobe: 66 Personen (USA & UK), mindestens 5 Jahre Beziehungserfahrung.
  • Daten: Halbstrukturierte Interviews, 60–90 Minuten, ausgewertet im Team.

5. Was sind die Limitationen der Studie?

  • Nur Einzelperspektiven – keine Partner:innen-Daten.
  • Fokus auf Kontrolle – Freiheitsprozesse weniger differenziert.
  • Kulturelle Prägung des Freiheitsbegriffs (westlich, individualistisch).
  • Keine systematische Erfassung geschlechtlicher oder sexueller Diversität.

Zitation (APA 7)

Smedley, D. K., Whiting, J. B., Bradford, A. B., & Anderson, S. R. (2025). A grounded theory analysis of control and freedom in intimate relationships. Journal of Marital and Family Therapy, 51(2), e70003. https://doi.org/10.1111/jmft.70003

Journal-Info: Das Journal of Marital and Family Therapy ist ein double-blind peer-reviewed Journal, das zu den international führenden Fachzeitschriften im Bereich systemischer Therapie gehört.