1. Worum geht es in dieser Studie?

Diese kanadische Facharbeit stellt eine ungewöhnliche, aber tiefgreifende Methode vor: das „Interviewing the Internalized Other“ (IOI) – also das therapeutische Gespräch mit einer verinnerlichten Bezugsperson innerhalb der Klient:in. Entwickelt über 35 Jahre systemisch-therapeutischer Praxis, zeigt Karl Tomm auf, wie durch das gezielte Ansprechen von inneren Stimmen nahestehender Personen (z. B. Eltern, Partner:innen, Kinder) Empathie, Beziehungsverständnis und emotionale Heilung ermöglicht werden können.

Im zweiten Teil erweitert Tomm die Methode um das Konzept des „Distributed Self“ – also der Vorstellung, dass wir in den Wahrnehmungen anderer Menschen existieren. Die Arbeit ist stark praxisorientiert, mit zahlreichen klinischen Fallvignetten, etwa aus der Paar-, Familien- und Einzeltherapie.

2. Was haben die Forschenden herausgefunden?

  • IOI kann überraschend tiefe emotionale Einsichten und Perspektivwechsel ermöglichen.
  • Besonders wirksam bei blockierter Kommunikation, Schuld, Rückzug oder starken Affekten.
  • Hilft, verdeckte Wünsche, Loyalitäten und Verletzungen in sicherer Form anzusprechen.
  • Fördert Empathie, Reflexion und Reorganisation innerer Beziehungsmuster.

3. Warum ist diese Studie für praktizierende Paartherapeut:innen interessant?

  • Bietet ein klar strukturiertes, aber tiefgehendes methodisches Vorgehen.
  • Ideal für festgefahrene Paardynamiken mit Empathiemangel oder eskalierenden Konflikten.
  • Inklusive konkreter Fragebeispiele, ethischer Hinweise und Integrationsmöglichkeiten.

4. Wie sind die Forschenden genau vorgegangen?

  • Reflexive Fallarbeit mit Originaltranskripten.
  • Theoretisch gestützt durch systemische, narrative und sozialkonstruktivistische Ansätze.
  • Klinische Anwendung auf verschiedenste Themen: Sucht, Elternschaft, Suizidalität, Beziehungskonflikte.

5. Was sind die Limitationen der Studie?

  • Keine quantitative Forschung oder systematische Evaluation.
  • Hohe Anforderungen an therapeutische Intuition und emotionale Feinfühligkeit.
  • Nicht geeignet für alle Klient:innen (z. B. bei Realitätsverlust oder akuter Gewalt).

Zitation (APA 7)

Tomm, K. (2025). Interviewing the internalized other and the distributed self. Family Process, 64(1), e70025. https://doi.org/10.1111/famp.70025

Journal-Info: Family Process ist ein renommiertes, double-blind peer-reviewed Journal mit starkem Fokus auf systemische und innovative therapeutische Ansätze.