Der folgende Beitrag ist aus meiner Sicht deshalb praxisrelevant, weil er an einer unserer täglichen Schnittstellen forscht, nämlich zwischen Sexual- und Paartherapie. Ich habe ihn deshalb in den Newsletter aufgenommen, weil er uns in der Paartherapie ermutigen kann, noch konsequenter auf die Zwischentöne zum sexuellen Erleben unserer Klient:innen zu achten.

Der folgende Beitrag wurde im Journal of Marital and Family Therapy veröffentlicht. Dieses Journal erscheint im Wiley Verlag und widmet sich speziell der systemischen Familientherapie. Das Journal ist nach Angaben des Finanziers, der American Association for Marriage and Family Therapy, peer-reviewed.

Das Autor:innen-Team forscht überwiegend an der Brigham-Young-University in Provo, Utah, deren Träger:in die Glaubensgemeinschaft der Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage ist, in Deutschland auch  als Mormonen bekannt (wenngleich es im Detail nicht hundertprozent übereinstimmt). M.E. hat dies nach oberflächlicher Prüfung allerdings keinen Einfluss auf die Objektivität der Forschung gehabt.

N.b.: die folgende Zusammenfassung basiert auf einer Zusammenfassung durch Bing Copilot, die ich redaktionell überprüft und nachbearbeitet habe.

Is the association of sexual quality with relationship satisfaction really stronger when the sexual relationship is functioning poorly?

Zitation: Busby, D. M., Leonhardt, N. D., Hanna-Walker, V., & Leavitt, C. E. (2024). Is the association of sexual quality with relationship satisfaction really stronger when the sexual relationship is functioning poorly? Journal of Marital and Family Therapy, 50, 233–255. https://doi.org/10.1111/jmft.12683

Die Autor:innen beginnen mit einer Einführung in die bestehende wissenschaftliche Literatur, die zeigt, dass Sexualität konsistent mit der Beziehungszufriedenheit und anderen Ergebnissen in wichtigen Weisen verbunden ist. Sie zitieren auch eine „klinische Weisheit“, die besagt, dass Sexualität eine größere Rolle spielt, wenn sie dysfunktional ist, als wenn sie gut funktioniert, und stellen fest, dass es dafür bislang keine empirische Basis gibt. Sie argumentieren, dass es wichtig ist, diese klinische Annahme zu erforschen, da sie wichtige Behandlungsimplikationen hat und die Definition von „optimaler“ und „dysfunktionaler“ Sexualität beeinflusst. Sie stellen auch einige mögliche Gründe vor, warum sexuelle Qualität eine stärkere Verbindung haben könnte, wenn sie weniger befriedigend ist, als wenn sie mehr befriedigend ist, und verwenden die Analogie des Immunsystems des menschlichen Körpers.

Die Autor:innen beschreiben dann die Methoden, die sie verwendet haben, um ihre Forschungsfrage zu beantworten. Sie verwendeten drei verschiedene Stichproben von verheirateten oder zusammenlebenden heterosexuellen Paaren aus den USA, die an Online-Umfragen teilnahmen. Die erste Stichprobe bestand aus 1.294 Paaren, die an der RELATE-Umfrage teilnahmen, die eine umfassende Bewertung der Beziehungsqualität bietet. Die zweite Stichprobe bestand aus 3.205 Paaren, die an der Couple Checkup-Umfrage teilnahmen, die eine ähnliche Bewertung bietet, aber mehr auf die Stärken und Schwächen der Beziehung fokussiert ist. Die dritte Stichprobe bestand aus 1.128 Paaren, die an der National Survey of Marital Strengths teilnahmen, die eine kürzere Bewertung bietet, die sich auf die wichtigsten Bereiche der Beziehung konzentriert. Die Autor:innen verwendeten die gleichen Variablen für alle drei Stichproben, um die Konsistenz zu gewährleisten.

M.E. spannend war der forscherische Aufwand, den das Autor:innen-Team im Artikel dokumentiert.

Die wichtigsten Variablen waren:

– Sexuelle Qualität: Ein umfassendes Maß für das, was in der Sexualität der Beziehung geschieht, basierend auf sechs Dimensionen: Häufigkeit, Initiation, Ablehnung, Kommunikation, Vielfalt und Zufriedenheit.

– Sexuelle Zufriedenheit: Ein Maß dafür, wie zufrieden die Paare mit ihrer Sexualität sind, basierend auf einer einzelnen Frage.

– Beziehungszufriedenheit: Ein Maß dafür, wie zufrieden die Paare mit ihrer Gesamtbeziehung sind, basierend auf einer Skala von 14 Fragen.

– Beziehungsunzufriedenheit: Ein Maß dafür, wie unzufrieden die Paare mit ihrer Gesamtbeziehung sind, basierend auf einer Skala von 14 Fragen.

Die Autor:innen analysierten die Daten mit einem Strukturgleichungsmodell, das die Verbindungen zwischen den Variablen für beide Partner testete. Sie testeten auch die Moderationseffekte der sexuellen Zufriedenheit auf die Verbindungen zwischen der sexuellen Qualität und der Beziehungszufriedenheit und -unzufriedenheit. Sie kontrollierten auch für einige demografische Variablen wie Alter, Geschlecht, Bildung, Einkommen, Religiosität, Rasse und Beziehungsdauer.

Die Autor:innen präsentieren dann die Ergebnisse ihrer Analyse, die ihre Hypothese teilweise unterstützen. Sie fanden heraus, dass die sexuelle Qualität eine signifikante und positive Verbindung mit der Beziehungszufriedenheit und eine signifikante und negative Verbindung mit der Beziehungsunzufriedenheit hatte, sowohl für die Akteure als auch für die Partner. Sie fanden auch heraus, dass die sexuelle Zufriedenheit einen Moderationseffekt auf diese Verbindungen hatte, aber nicht in der erwarteten Weise. Sie fanden heraus, dass die Verbindungen zwischen der sexuellen Qualität und der Beziehungszufriedenheit und -unzufriedenheit am stärksten waren, wenn die Paare ein mittleres Niveau an sexueller Zufriedenheit berichteten, anstatt ein hohes oder niedriges Niveau. Sie interpretieren dies so, dass die Sexualität in diesem Bereich am relevantesten ist, da die Paare weder zu zufrieden noch zu unzufrieden sind und daher mehr Raum für Verbesserungen oder Verschlechterungen haben. Sie fanden auch heraus, dass die sexuelle Qualität der Frauen eine signifikante Verbindung mit der Beziehungszufriedenheit und -unzufriedenheit beider Partner hatte, während die sexuelle Qualität der Männer nur Akteureffekte (also abhängig vom sexuellen Qualitätserleben der Partnerin) hatte. Sie erklären dies damit, dass die Frauen möglicherweise mehr Einfluss auf die sexuelle Dynamik der Beziehung haben oder dass die Männer möglicherweise mehr von der sexuellen Qualität der Frauen abhängig sind. Schließlich fanden sie heraus, dass die sexuelle Beziehung eine stärkere Verbindung mit der Beziehungszufriedenheit und -unzufriedenheit für Paare hatte, die sowohl niedrige Niveaus von sexueller Zufriedenheit als auch Unzufriedenheit berichteten. Sie deuten dies als Hinweis darauf, dass die Sexualität für diese Paare ein kritischer Bereich ist, der ihre Beziehung stark beeinträchtigt.

Die Autor:innen schließen mit einer Diskussion über die Implikationen, Einschränkungen und Richtungen für zukünftige Forschungen. Sie betonen, dass ihre Ergebnisse die Bedeutung der Sexualität für die Beziehungsqualität bestätigen, aber auch einige Nuancen aufzeigen, die von der klinischen Weisheit abweichen. Sie schlagen vor, dass die Sexualität nicht nur eine größere Rolle spielt, wenn sie dysfunktional ist, sondern auch, wenn sie mäßig befriedigend ist, und dass die Sexualität der Frauen möglicherweise mehr Gewicht hat als die der Männer. Sie empfehlen, dass die Therapeut:innen diese Faktoren berücksichtigen, wenn sie mit Paaren arbeiten, die sexuelle Probleme haben, und dass sie die Sexualität als einen wichtigen Bereich der Beziehung anerkennen, der sowohl die Zufriedenheit als auch die Unzufriedenheit beeinflusst. Sie weisen auch auf einige Einschränkungen ihrer Studie hin, wie z.B. die Verwendung von Querschnittsdaten, die Verwendung von Selbstberichten, die Verwendung von heterosexuellen Paaren und die Verwendung von US-Stichproben. Sie schlagen vor, dass zukünftige Studien die Kausalität, die Validität, die Diversität und die Generalisierbarkeit ihrer Ergebnisse untersuchen sollten.