1. Worum geht es in dieser Studie?

Diese kanadisch-US-amerikanische Studie untersucht, wie es Menschen geht, die in einer Beziehung mit einer Person mit einer Vorgeschichte sexueller Straftaten leben – und selbst keine solche Straftat begangen haben. Diese „nicht-beteiligten Partner:innen“ sind häufig mit starken psychischen, sozialen und praktischen Belastungen konfrontiert – etwa durch Stigmatisierung, Isolation oder Misstrauen in der Beziehung. Die Studie geht der Frage nach, welche individuellen und beziehungsbezogenen Faktoren dazu beitragen, dass sich diese Partner:innen besser oder schlechter an die belastende Situation anpassen können.

2. Was haben die Forschenden herausgefunden?

  • Individuelles Wohlbefinden wurde positiv beeinflusst durch: hohe Selbstwertschätzung, funktionierende Partnerschaft, humorvolle Bewältigungsstrategien, praktische Unterstützung (z. B. Hilfe im Alltag), sowie subjektiv positive Veränderungen durch die Straftat (z. B. bessere Finanzen). Überraschenderweise stand Akzeptanz der Tat in negativem Zusammenhang mit dem Wohlbefinden.
  • Beziehungszufriedenheit war besonders hoch, wenn in der Beziehung Vertrauen, Intimität, gute Stresskommunikation und gemeinsame Bewältigungsstrategien (dyadisches Coping) vorhanden waren.
  • Faktoren wie Online-Selbsthilfe, religiöse Bewältigung, aktive Copingstrategien oder frühkindliche Traumata hatten keinen bedeutsamen Einfluss auf die Anpassung.

Diese Ergebnisse zeigen, dass vor allem die Qualität der Beziehung und konkrete Unterstützung eine zentrale Rolle für das psychische Wohlbefinden nicht-beteiligter Partner:innen spielen.

3. Warum ist diese Studie für praktizierende Paartherapeut:innen interessant?

  • Stärkung von Vertrauen, Intimität und dyadischem Coping sollte im Fokus stehen, insbesondere durch Kommunikationstrainings und Förderung gemeinsamer Problemlösungen.
  • Interventionen sollten auch auf das Selbstwertgefühl und die praktischen Lebensbedingungen der nicht-beteiligten Partner:innen zielen.
  • Humor als Bewältigungsstrategie kann gestärkt und genutzt werden.
  • Die Akzeptanz der Tat scheint psychisch eher belastend als entlastend zu wirken – hier ist eine behutsame therapeutische Begleitung notwendig.

Die Studie hebt außerdem hervor, wie wenig therapeutische Angebote es bislang für diese Zielgruppe gibt – ein klares Plädoyer für eine Ausweitung des Unterstützungsangebots in der Paar- und Familienarbeit.

4. Wie sind die Forschenden genau vorgegangen?

  • Stichprobe: 207 nicht-beteiligte Partner:innen aus den USA und Kanada, die aktuell in einer Beziehung mit einem Mann mit sexueller Straftatgeschichte leben.
  • Methodik: Online-Fragebogen mit standardisierten Skalen zu Lebenszufriedenheit, Beziehung, Coping, Selbstwert etc.
  • Analysen: Strukturgleichungsmodellierung (SEM), um Zusammenhänge zwischen individuellen und dyadischen Faktoren und den beiden Hauptoutcomes (individuelles Wohlbefinden und Beziehungszufriedenheit) zu untersuchen.
  • Die Studie berücksichtigte sowohl Fälle, bei denen die Straftat vor der aktuellen Beziehung geschah als auch solche, bei denen die Tat während der Beziehung erfolgte.

5. Was sind die Limitationen der Studie?

  • Es wurde nicht überprüft, ob die Teilnehmenden eventuell selbst von der Straftat betroffen waren – was ihre Perspektive deutlich beeinflussen könnte.
  • Die Daten stammen ausschließlich von den nicht-beteiligten Partner:innen – die Sichtweise der Personen mit Straftatgeschichte fehlt.
  • Die Stichprobe ist kulturell begrenzt (Nordamerika) und kann nicht ohne Weiteres auf andere Länder übertragen werden.
  • Das Modell zur Erklärung der Anpassung zeigte keine ideale Passung – was mit der Komplexität des Themas und der explorativen Anlage der Studie zusammenhängen dürfte.

Zitation (APA 7)

Cassidy, K., & Ronis, S. T. (2025). Predictors of individual and interpersonal adjustment among non-offending partners of individuals with histories of sexual offenses. Sexual Abuse, 37(1), 58–87. https://doi.org/10.1177/10790632231213832

Journal-Info: Sexual Abuse ist ein peer-reviewed Journal mit double-blind peer-review und hoher methodischer Strenge.